MARTIN CONRADS, September 2019
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Platzt das Seil? Bricht der Stein. Passt der Stoff? Sackt das Holz. Reißt die Schnur? Fällt das Bild.
Mit seinen skulpturalen Arbeiten spekuliert Jonas Büßecker mit unserer Erwartung. Jedes einzelne Element seiner Arbeiten – ob aus Holz, Stoff, Metall, Beton, ob Seil, ob Schnur, ob Stuhl, ob Tür – hat eine Wette abgeschlossen; untereinander, miteinander; vor allem aber: gegen uns, die die Arbeiten betrachten, mit ihnen im Raum sind.
Die Wette der Elemente: welches es am längsten aushält – zu hängen, zu ziehen, zu fixieren, zu bedingen, zu verketten, zu strapazieren, zusammenzuhalten, auszugleichen.
Jede einzelne Arbeit des Kunsttherapeuten und UdK-Studenten Büßecker (in der Bildhauer-Klasse bei Karsten Konrad) hält eine Spannung aufrecht, die, das Psychologische betreffend, an Louise Bourgeois denken lässt, das Physikalische betreffend, an Roman Signer – ohne, dass es aber direkt zum Abschuss kommt.
Der nämlich kommt indirekt, irgendwann, dann unvermittelt, unerwartet – und doch ganz einkalkuliert: denn die (An-)Spannung, die jede Arbeit Jonas Büßeckers auf ganz spezifische Weise kennzeichnet, beinhaltet immer einen komischen, katastrophalen, einen kakophonischen Moment. Einen Moment der entstünde, fiele die Anspannung plötzlich ab, gäbe eines der die Skulpturen in ihrer Spannung bedingenden Elemente nach, entspannte sich – materialverschlissen, überstrapaziert, erdangezogen – die Spannung.
Dann nämlich klängen, tönten, schepperten, surrten, krachten die Skulpturen auf je ganz spezifische Weise, für eine Sekunde oder eine halbe, würden Instrumente einer nur in der Vorstellung realisierten Kompilation von Musique Concrète-Stücken, deren Aufnahme vor dem Moment ihrer Aufführung angehalten, fixiert wurde. Die Arbeiten machen darum nicht viel Aufhebens, aber das Auge weiß darum. In diesem Sinn sind Büßeckers Arbeiten audiokinetische Objekte, wahrgenommen in Superzeitlupe.
Es trüge aber, würde man diesen Moment, diesen nur spekulativ eintretenden Effekt, als Ausgangsmotiv von Büßeckers Arbeiten verstehen. Denn die Wette, um dies es geht, betrifft den Raum, der die Arbeiten umgibt und bedingt, in welchem sich die Arbeiten wiederum ihren eigenen Raum schaffen, den sie umgebenden teils auf ihre Weise wiederholend, teils entgrenzend, indem sie die Unterscheidung von Innerem und Äußerem in Frage stellen und so den gegebenen Raum zum einem genommenen machen.
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MAJA SMOSZNA, 2019
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Bewegung ist integraler ästhetischer Bestandteil von Jonas Büßeckers skulpturellen Arbeiten, obgleich sich in seinen Kompositionen gar nichts bewegt. Uns begleitet bei ihrer Betrachtung das unheimliche Gefühl, dass wenn wir nur ganz kurz in eine andere Richtung blicken, werden die Rollen der Maschine anfangen sich zu drehen und einen komplizierten Mechanismus aktivieren, der uns in Gefahr bringen wird.
Schon in seiner frühen Schaffensphase konstruiert der junge Künstler anhand von Umlenkrollen und Juteschnuren einfache Maschinen, die die Zugkräfte in seinen komplizierten Seilsystem ausgleichen. Im Zentrum jedes seiner Mechanismen schweben ein oder mehrer Objekte, wie etwa alte Wanderschuhe, Holzstühle, Betonblöcke, zerquetschete Kissen mit Feder und anthropomorphe Formen mit Polyesterfüllung. In postapokalyptischen, menschenleeren Welten verliert die Gravitationskraft ihre Wirkung und eine andere, geheime und der Gravitation entgegenwirkende Kraft zwingt die statischen Objekte ins freie Schweben.
Diese in der Luft hängenden oder nur leicht den Boden berührenden Gegenstände werden mit angespannten Seilen, Schnüren oder Transportgürteln zusammengefesselt. Gebogen, gestreckt, gezogen und gezerrt ruft die ganze Komposition so das Gefühl der innerlichen und äußerlichen Anspannung hervor. Das konstante unsichtbare und doch fühlbare Drücken und Ziehen führt zu einer unbewegten Stabilität der gesamten Struktur. Doch, trotz dieser Unbewegtheit, setzt uns als andere Körper im gleichen Raum die fragile und instabile Ausstrahlung von schwebenden Formen in Unruhe.
Die von Büßecker geschaffene Strukturen basieren auf einer dialektischen Spannung zweier Gegensätze: fragil und stabil, weich und hart, leicht und schwer. Fragile, weiche und leichte Stoffe, wie Feder, Faden und Kissen treffen auf rohe und harte Betonblöcke, Stahlstangen und Hacken. In dieser Konfrontation dreht sich das typische Machtverhältnis in ihr Gegenteil. Die typischerweise tragenden Baustoffe, wie Stein, Beton und Stahl, werden zu den getragenen Elementen und die brüchige Elemente üben die entscheidende Kraft aus.
In Büßeckers späteren Arbeiten tritt das Moment der Körperlichkeit immer mehr in den Mittelpunkt. Leicht anthropomorphe Formen mit erkennbaren Wirbelsäule und Muskelstruktur verwandeln sich in fragmentierte Körperteile, die an Körperhybriden aus dem Repertoire von Louise Bourgeois und Berlinde De Bruyckere erinnern. Erpresst und unterdrückt ist der Körper in den Stahlrahmen kantiger Gerüste gefangen. Von Schmerzen gekrampft wirkt er wie ein Beutel oder Sack, der sich unter enormen Kräften flexibel ausdehnen und spannen lässt. Die ihn umliegende, unterdrückende und formgebende Machinerie aus Ketten und Seilen provoziert die BetrachterInnen zu einer kritische Reflexion über die soziale Normierung des Körpers und seiner Verwicklung in gesellschaftlichen Machtverhältnissen.
Zwar wirken die vom Künstler konstruierten Unterdrückungsmechanismen noch berdrohlich, aber sie können keine Schaden mehr verursachen, da sie inmitten der Bewegung eingefroren sind. In ihrem Stillstand beunruhigen sie uns noch, obwohl, wie wir uns bei näherer Betrachtung schnell bewusst werden, dass sie ganz funktionslos und sogar absurd zu sein scheinen. Die endgültige Offenlegung von der Funktionslosigkeit der sozial geprägten Bedeutungsmaschinerie gewährleistet ein Ermächtigungsmoment, in welchem wir uns von den “Regeln die niemand ändern kann” befreien können.